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Das “Eisenbahndenkmal“

Eisenbahndenkmal Wenige hundert Meter südwestlich des Dorfes Wittibreut stehen auf einer kleinen Anhöhe zwei fremdartig wirkende Gebäude: Das größere mit drei Stockwerken, von denen nur zwei ausgebaut sind, dazu ein kleineres Nebengebäude. Beide Bauten zeigen unverputztes Ziegelmauerwerk, hohe Fenster sowie flache Walmdächer, die mit Schieferplatten gedeckt sind. Nicht nur die Einheimischen wissen sofort Bescheid. Hier steht einsam der Bahnhof von Wittibreut. Dies alleine wäre nichts Besonderes. Mancherorts liegen Bahnhöfe wegen stillgelegter Strecken verlassen da. Doch an dieser „Bahnstation“ sind weit und breit weder Bahndamm, Geleise noch Weichen zu sehen. Der Grund: Hier hat noch nie ein Zug gehalten, kein Eisenbahner Dienst getan, noch nie ein Reisender eine Fahrkarte gekauft, weil bis heute kein Schienenstrang den Bahnhof erreicht hat. Und das kam so:

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war auch in Niederbayern, wie andernorts das „Eisenbahnfieber“ ausgebrochen. 1869 verabschiedete die bayerische Abgeordnetenkammer ein Gesetz über die „Ausdehnung und Vervollständigung der Bayerischen Staatsbahnen, die Erbauung von Vizinalbahnen betreffend.“ Darin war auch ein Artikel enthalten, der besagte, daß die Bayerischen Staatseisenbahnen selbst eine Strecke von Mühldorf nach Vilshofen an der Donau bauen dürfen. Die „Königlich privilegierte Gesellschaft der Bayerischen Ostbahnen“ hatte jedoch für die Strecke Cham-Straubing-Mühldorf innerhalb einer Frist von zwei Jahren das „Vorbaurecht“. Da nach Ablauf dieser Zeit die Linie nicht in Angriff genommen wurde, hatte der Bayerische Staat also die gesetzliche Handhabe zum Bau einer Eisenbahnlinie von Mühldorf quer durch Niederbayern an die Donau.

Andreas Aigner aus Weingold bei Zimmern hörte von dieser geplanten Eisenbahnlinie und hatte eine großartige Idee. Er entschloß sich zum Bau einer Bahnstation, damit kein benachbarter Ort den Wittibreutern den Rang ablaufe und auch er selber ein entsprechendes Geschäft machen könne. Sein säuberlich geführtes Kassenbuch zeugt noch heute davon, daß er ohnedies Finanzgeschäfte betrieb und davon nicht schlecht lebte. Der Anderl wurde also aktiv. Flugs fuhr er nach München und ließ sich einen repräsentativen Bahnhof mit Nebengebäude für eine Bahnhofsgaststätte entwerfen. Als er heimkam verkaufte er den ererbten Bauernhof und begann mit dem Bau des Stationsgebäudes und der Bahnhofsrestauration. 1876 war das Projekt fertiggestellt. Zu dieser Zeit sah man aber weit und breit keine Eisenbahnschienen. Die Staatsbahnen hatten umdisponiert, die Geleise wurden nicht verlegt. Vorerst kam in den siebziger Jahren der Bau der Rottalbahn von Neumarkt-St.Veit Richtung Passau zur Ausführung.

Viele glaubten nicht mehr an die Verwirklichung der Eisenbahnlinie von Mühldorf nach Vilshofen, doch Andreas Aigner gab die Hoffnung auf den Gleisanschluß für seinen Wittibreuter Bahnhof nicht auf. Ihm war nämlich zu Ohren gekommen, daß die Badische Anilin- und Sodafabrik Ludwigshafen beabsichtige, ein Zweigwerk in Burghausen zu errichten. In diesem Fall, so dachte der Anderl, wäre der Ausbau einer Bahnlinie für den Transport der Fabrikerzeugnisse, Rohstoffe, aber auch der notwendigen Arbeitskräfte zur Arbeitsstelle unbedingt notwendig. Aber es wurde weder das Zweigwerk noch die Eisenbahnlinie errichtet.

Im Jahre 1908 lebte die Hoffnung auf den Anschluß des Wittibreuter Bahnhofs erneut auf. Nach einem Beschluß der Bayerischen Abgeordnetenkammer über den Bau einer Lokalbahn sollte diese auch über Wittibreut führen. Doch das Bauvorhaben zog sich hinaus und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zerschlug die Verwirklichung dieses Projektes endgültig. Den Gegnern der Eisenbahn konnte das nur recht sein.

Vor allem die damaligen Posthalter waren nun wohl die Sorge um die Konkurrenz los.

So gab auch Anderl Aigner die Hoffnung auf den Eisenbahnanschluß auf und zog selber in seinen „Bahnhof“ ein. Natürlich ließen Spott und Hohn der Leute nicht lange auf sich warten, war der Bahnhofserbauer doch sozusagen auf seinem Bauwerk sitzengeblieben. Aber der pfiffige Bahnhofsbesitzer zeigte es den Spöttern. Er ließ den Stationsnamen am Bahnhof überpinseln und dafür folgenden Spruch hinmalen:

„Ein jeder Bau, wis‘ im geffelt.
Das Nimand komt, der für in bezahlt 1876“

Der Bahnhof zu Wittibreut steht immer noch einsam in der Gegend und wartet seit mehr als 100 Jahren auf Signale, Schienenstränge, Fahrgäste und den ersten Zug. Nur wenige Räume der insgesamt 16 Zimmer im Stationsgebäude werden heute für private Zwecke vereinzelt genutzt. Das Bauwerk erinnert an jenen tatkräftigen Mann, der überzeugt von der Notwendigkeit der Eisenbahn, beachtliche finanzielle Opfer auf sich nahm. Andreas Aigner starb 1925 im gesegneten Alter von 90 Jahren. Die Hoffnung einer Eisenbahnlinie über Wittibreut hat er wohl am längsten mit sich getragen.

Der Bahnhof, zu dem nie ein Schienenstrang gelegt wurde, ist nicht nur bei uns eine bekannt Kuriosität. Sogar eine Zeitung in Belgien berichtet in Bild und Schrift über das Wittibreuter „Eisenbahndenkmal“.

(Quelle: Verfasst von Rudolf Bogdany in “Die Gemeinde Wittibreut“ von Brigitte Gleissner, erschienen 1986,Foto: H.Ziegleder)